ENDE GUT – ALLES GUT?

Schwerer Tauchunfall auf einem Safariboot


Die Verkettung mehrerer Einflussfaktoren ist oft Auslöser eines lebensbedrohlichen Unfallhergangs. Der geschilderte Tauchunfall nimmt dank umsichtigen und raschen Handelns ein gutes Ende. Luisa (43 Jahre) und Tom (46) verbringen ihren einzigen Jahresurlaub im Oktober  in Ägypten, um endlich tauchen zu können. Sie haben sich eine Tauchsafari ausgesucht, die ihnen „Non-limit“-Tauchen verspricht. Beide sind begierig, den Kopf unter Wasser stecken zu können. Luisa ist Ein-Stern-Taucherin und hat 72 Tauchgänge, Tom hat ein  Jahr zuvor seine Zwei-Stern-Brevetierung abgeschlossen und 110 Tauchgänge. Mit ihrer eigenen Ausrüstung fühlen sie sich sicher… Nach einer stürmischen Überfahrt von Port Ghalib zu den vorgelagerten Riffen genießen sie die abwechslungsreichen Tauchgänge, beginnend als early morning dive zum Sonnenaufgang, den Vormittagstauchgang, den Nachmittagstauchgang und am Vorabend auch den ersten Nachttauchgang. Beide haben einen Nitrox-Schein und nutzen das EAN28.

Der Unfall-Tauchgang
Luisa hat schlecht geschlafen. Auf den early morning dive verzichtet sie.  Der Vormittagstauchgang beginnt  mit dem Zodiac zu einem Tauchplatz an einer Riffkante. Nach der Rolle vom Boot tauchen sie direkt ab wegen leichter Oberflächenströmung. Beim Abtauchen in Richtung Riff muss sich Luisa wegen der Strömung anstrengen, um mit Tom und der Gruppe mithalten zu können.   Kurz vor Erreichen des Strömungsschattens am Riff bleibt sie unbemerkt zurück. Später erinnert sie sich, dass sie plötzlich starke Kopfschmerzen und Sehstörungen bekam, alles schien weit entfernt wie durch ein umgedrehtes Fernglas. Später, beim Auslesen ihres Tauchcomputers, wird eine Tiefe von 23,8 Meter angezeigt. Die Kopfschmerzen und Sehstörungen bereiten ihr Angst, sie verliert die Kontrolle über ihre Tarierung, findet das Schnellablassventil nicht und fühlt sich in Richtung Oberfläche sicherer. Der Computer zeigt eine Aufstiegszeit zur Oberfläche ohne Sicherheitsstopp in zwei Minuten, 28 Sekunden. Nach einigen tiefen Atemzügen an der Wasseroberfläche, unbemerkt von ihrer Gruppe entschließt sich Luisa wieder abzutauchen. Auf zwölf Meter kommt ihr ihre Gruppe entgegen, allen voran Tom mit fragendem Blick. Sie erinnert sich, das Ok-Zeichen gegeben zu haben, obwohl sie sich alles andere als okay fühlt. Ihr fehlt die Orientierung, das Verschwommensehen wird stärker. Der Tauchguide nimmt sie an seine rechte Seite und fixiert sie mit seiner Hand an der Begurtung ihres Jackets. Der kontrollierte Aufstieg, so wird berichtet, geht ohne Sicherheitsstopp in Richtung des vermuteten Bootes.  An der Wasseroberfläche treten heftige atemabhängige Schmerzen auf, sie hustet, die Luftnot wird stärker, die Kopfschmerzen sind unerträglich. Die weiteren Ereignisse weiß sie später nicht mehr. Sie wird wach vor der Stahltür zur Druckkammer in Port Ghalib.

Unfallhergang und Verlauf
Am Riff entwickelt Luisa Anzeichen eines Essoufflement. Der Kontrollverlust für die eigene Tarierung, die fehlende Sicherung durch den Buddy und der unkontrollierte Aufstieg aus 24 Meter an die Wasseroberfläche sind Auslöser des nachfolgenden schweren Tauchunfalls. Das kurzfristige Abtauchen, um die Gruppe wiederzufinden, führt zu einer zusätzlichen Stickstoffaufsättigung. Die an der Wasseroberfläche aufgetretenen Symptome entsprechen einem schweren Dekompressionsunfall. Husten und Brustschmerzen werden als „chokes“ bezeichnet. Nicht auszuschließen ist dabei ein Lungenüberdruckunfall mit der Gefahr einer arteriellen Gasembolie.  Lebensrettend ist die rasche Sauerstoffgabe und Entscheidung, die nächste Druckkammer anzufahren. Luisa wird unmittelbar in der Druckkammer mit hyperbarem Sauerstoff nach Tabelle US-Navy 6 behandelt. Noch während der Druckkammerfahrt kommt es zu einer Besserung der Kopfschmerzen und des Schwindels, am Ende ist sie vollständig neurologisch beschwerdefrei. 

Zusammenfassend
ist der Tauchunfall ausgelöst durch eine schlechte Tagesform, körperliche Überforderung in der Strömung, Angst und Panik durch Partnerverlust, Kontrollverlust mit Notaufstieg ohne Sicherheitsstop. Das erneute Abtauchen verstärkt die ohnehin durch die vorangegangenen Wiederholungstauchgänge schon hohe Stickstoff(rest)sättigung und führt bei ausgelassenem Sicherheitsstopp zum eigentlichen Dekompressionsunfall. Die Verwendung von sauerstoffangereicherten Atemgasen verringert die Stickstoffsättigung zwar, verhindert aber den Teufelskreis dieses Unfalls nicht. Das sofortige Erkennen der Situation und zielgerichtetes Handeln mit höchstmöglicher Sauerstoffgabe, Überwachung des Verunfallten und Entscheidung zur HBO-Therapie nach Absprache mit dem diensthabenden Taucherarzt der VDST-Hotline haben zu diesem glücklichen Ende beigetragen. Die Verkettung der auslösenden Faktoren hätte schon von Anfang an vermieden werden können: Bei fehlender körperlicher Fitness undSchlafmangel sollte auf den Tauchgang verzichtet werden. Auch beim „Non-Limit-Tauchen“ müssen tauchfreie Tage eingeplant werden. Unerwartete Strömung erfordert immer besonderes Augenmerk zum Tauchpartner. 
Neu: Der VDST-NeuroCheck hilft, die Symptome eines Tauchunfalls genau erfassen zu können und erleichtert die Beurteilung des Verlaufs unter Sauerstoffgabe im Hinblick auf die erforderliche weitere Behandlung. Das „handling“ des VDST-NeuroCheck wird in den Aufbaukursen und Medizinseminaren gezeigt und geübt. Der Untersuchungsbogen ist im Downlaod-Bereich des VDST verfügbar….

Unser Autor:
Dr. med. Konrad Meyne
Taucherarzt, stv. Bundesverbandsarzt, TL 2, Goslar

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