TÖDLICHER AUFSTIEG

TEIL 5


TECHNISCHES VERSAGEN FORDERT TODESOPFER


Der Tauchgang
Erik und Sebastian sind erfahrene Taucher, beide zusammen haben fünf Sterne und sind häufig gemeinsam auf Tauchtour in Deutschland und Österreich. Ein verlängertes Wochenende gibt ihnen Gelegenheit, einen Tauchsee in Süddeutschland zu erkunden. Mit ihrer Ausrüstung sind sie vertraut. Beide tauchen fast den gleichen Trockentauchanzug, Erik (T***) schwört auf sein Wing-Jackett, während Sebastian (T**) bei seinem bewährten ADV-Jackett bleibt.  Am Tauchplatz orientieren sie sich an der Schilderung, die ihnen die Tauchbasis am Vortag gegeben hatte. Sie sind an diesem Herbsttag allein am See, ihr Fahrzeug mussten sie etwa 300 Meter entfernt an den angrenzenden Häusern abstellen. Erik führt den Tauchgang. Zunächst suchen sie die tiefste Stelle des Sees in etwa 28 m auf, finden hier interessante Gesteinsformationen bei noch sehr guter Sicht. Die Wassertemperatur wird mit 6° C angezeigt. Der Luftvorrat reicht für einen ausgiebigen Rückweg entlang an einem Steilufer. Auf 18 m finden sie einen alten landwirtschaftlichen Anhänger mit einem lauernden Hecht.


Der Tauchunfall
Aus der Ruhe heraus schießt Sebastian plötzlich hoch, der helle Schein seiner großen Taucherlampe blendet Erik. Dieser weiß den unerwarteten Aufstieg nicht zu deuten, auf seinem Tauchcomputer wird eine Tiefe von 17 m angezeigt, die Nullzeitgrenze ist gerade wieder erreicht. Da sein Tauchpartner an der Wasseroberfläche gesichtet wird, taucht Erik zügig aber kontrolliert auf. An der Wasseroberfläche angekommen, findet er Sebastian mit schwerster Luftnot vor. Sein Trockentauchanzug scheint voll belüftet zu sein. Sebastian ringt nach Luft und wird bewusstlos.  Erik wirft Sebastians Bleitaschen ab und versucht den „Trocki“ am Ventil etwas zu entlüften, ohne Erfolg. Das Ufer ist zwar nah, aber es ist steil und eine Rettung dorthin nicht möglich. Erik schleppt Sebastian rückwärtsschwimmend so gut er kann. Sebastian reagiert nicht auf Ansprache,  keine Atemgeräusche. Laut ruft Erik um Hilfe, aber es bleibt stumm. Wie nach einer Ewigkeit erreicht er den Einstieg, an dem er versucht, den leblosen Sebastian an Land zu ziehen. In diesem Moment erreicht ein Jogger den Tauchplatz, der über sein Handy den Notruf absetzt. Beide beginnen gemeinsam mit der Wiederbelebung.  Auf die ersten fünf Atemspenden, die nur mit großer Anstrengung erfolgen können, beginnen sie mit der Herzdruckmassage.  Erik ist von der Rettung ans Ufer so erschöpft, dass er die Herz-Lungenwiederbelebung nicht mehr unterstützen kann.  Als er den nahenden Rettungswagen hört, macht er winkend auf die Unfallstelle aufmerksam.


Tragik eines Tauchgangs
Die Wiederbelebungsmaßnahmen werden durch das Rettungsteam professionell weitergeführt. Trotz maschineller Beatmung, Pleuradrainage, medikamentöser Kreislaufstützung und fortgesetzter Herzdruckmassage  bleiben die Lebenszeichen erloschen. Der Notarzt stellt die Maßnahmen nach vierzig Minuten mit der Todesfeststellung ein. Erik ist nicht in der Lage, der eintreffenden Polizei erste Angaben zum Unfallhergang zu machen. Die polizeilichen Ermittlungen  beschränken sich auf die Beschlagnahmung der Tauchausrüstung, die Aussagen des Rettungsteams und des Joggers.


Analyse eines tödlichen Tauchunfalls
War es menschliches oder technisches Versagen ? Niemand wird die Lösung je kennen. Eine Obduktion erfolgte nicht, weil Fremdverschulden nicht erkennbar war. Atemgas und Jackett waren einwandfrei, aber das Trockentauchventil ? Vielleicht hat es geklemmt, wurde es durch die schwere Taucherlampe ungewollt betätigt ? War eine Vereisung möglich ? Der tragische Ausgang macht nachdenklich:  der Tauchplatz war „einsam“, die Handys lagen im entfernt geparkten Auto. Hätte ein besserer Notfallplan etwas ändern können ? Auch in einem eingespielten Buddy-Team muss bei jedem Tauchgang ein Notfallplan besprochen werden. Sicher erscheint, dass der unkontrollierte Aufstieg zu einem Lungenüberdruckunfall geführt haben muss. Luftnot mit rasch einsetzender Bewusstlosigkeit kann Zeichen eines Spannungspneumothorax sein (Abb. links): ein Lungenriss geht mit einem Ventilmechanismus einher, bei dem bei jedem Atemzug Luft in den Pleuraspalt gesogen wird, bei der Ausatmung verschließt sich das „Ventil“, die Lunge wird immer mehr komprimiert und letztlich immer weiter zur Gegenseite gedrückt. Dadurch werden die großen Gefäße des Mittelfellraumes abgeknickt, der Rückfluss zum Herzen stoppt, Kreislaufstillstand und Sekundentod sind die Folge. Nur das rechtzeitige Erkennen und die Entlastung durch Punktion geben eine Chance zum Überleben (Abb. rechts).


Abb links:  Beispielbild eines Spannungspneumothorax´ eines 23 jährigen Tauchers: die linke Lungenhälfte ist überbläht und verlagert das Herz nach rechts.

Abb. Rechts (im Liegen):  unmittelbar nach Entlastungspunktion entweicht die Luft aus der linken Pleurahöhle, der Mittelfellraum entfaltet sich wieder. Nach einigen Tagen entfaltet sich die linke Lunge durch eine Saugdrainage, der Ventilmechanismus verklebt. Tauchverbot besteht lebenslang wegen festgestellter angeborener „Emphysemblasen“




Fazit
Technische Fehlfunktionen sind durch Wartung und Pflege der Ausrüstung weitestgehend vermeidbar. Dass die Ausrüstungskonfiguration entsprechend den Standards des VDST an den Tauchgang angepasst werden muss, vor allem bei Kaltwassertauchgängen in heimischen Gewässern, sollte jeder Taucher verinnerlicht haben. Die große Unbekannte bleibt dennoch immer noch die Erfahrung des Tauchers kritische Situationen zu beherrschen. Übrigens: Sebastian hatte keine gültige tauchsportärztliche Untersuchung mehr…  


Unser Autor:
Dr. med. Konrad Meyne
Stv. Bundesverbansarzt
Internist-Taucherarzt
TL 2 VDST-Hotlinearzt

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