SCHWERELOS MIT SCHWERGEWICHT

 

Teil 9

 

 

 

 



Tauchen mit Übergewicht – Risiko und Tauchtauglichkeit

 

Adipositas geht mit gesundheitlichen Einschränkungen einher – auch beim Tauchen ?

 

 

 

Eigentlich habe ich Urlaub. Tauchurlaub. Kein Notarztdienst, kein Hotline-Dienst. Die geplante Woche an der Ägäis soll entschleunigen und ich freue mich auf die Freunde meiner Tauchbasis.

Schon am ersten Tag ein nicht zu übersehender Taucher, schwarz wie alle anderen, aber mehr, viel mehr… Er ist nett, gesprächig, aber unglaublich fett – adipös. Ich habe keine Vorurteile gegen Übergewichtige oder Fettleibige. Aber als Taucher ?

Bernd, 47 Jahre, T*-Taucher mit ca 80 Tauchgängen hat eine gültige Tauchsportärztliche Untersuchung. Ich schätze sein Lebendgewicht auf 130 kg bei einer Körpergröße von etwa 178cm. Stattlich ! Die Tauchgänge führen uns entlang herrlich bewachsener Steilhänge und Plateus, mit Fischschwärmen und sogar zum Ende des zweiten Tauchgangs mit einer Schildkrötenbegegnung. Bernd hat die beiden Tauchgänge bisher begeistert mit gemacht und versucht sogar noch, der Schildkröte hinterher zu tauchen – vergeblich. 

 

Der Unfalltauchgang

Bernd und ich haben uns zur Nachmittagsausfahrt angemeldet. Abgesehen von den Vormittagstauchgängen mit einer unvermeidbar kurzen Oberflächenpause haben wir keine Vorsättigung. Der Nachmittagstauchgang führt uns zu einer Seegraswiese auf maximal 17 Meter Tiefe mit vielen Steckmuscheln und einigen Amphoren. Nach vierzig Minuten Tauchzeit erreichen wir die Moringleine. Bernd macht einen stark erschöpften Eindruck, als er nach mir an der Taucherleiter auf Deck klettert. Anfangs muss er noch nach Luft ringen, danach wird er immer stiller.  Ich setze mich zu  ihm mit einer großen Flasche Mineralwasser. Mir fällt auf, dass er viel verschüttet weil er die Flasche nicht zielgenau an den Lippen ansetzen kann. Bernd will sich  aufrichten und kippt auf der Bank nach links, weil er keine Kraft zum Abstützen mehr zu haben scheint.  

Erst jetzt registriere ich, dass mein Urlaub gerade vorbei ist. Das ist ein Tauchunfall ! Ich informiere die Bootscrew und die Tauchguides über meine Verdachtsdiagnose. Ich lasse sofort Sauerstoff bringen und lagere Bernd halbsitzend auf der Bank. Die Sauerstoffgabe erfolgt mit 15 l/min über eine Atemmaske mit Reservoirbeutel.

 

Neuro-Check

Als erfahrener Taucherarzt habe ich die Lage schnell erfasst. Bernd hat einen   Tauchunfall mit schweren Symptomen: armbetonte Halbseitenlähmung links, Koordinationsstörungen und Schwindel, zunehmend Sprachstörungen mit schwerfälligem Sprechen. Ich bitte den Käpten des Bootes, das nächste Druckkammerzentrum auf dem Festland über Funk zu informieren und den Rettungsdienst zur Übernahme des Patienten im Hafen zu alarmieren.  Alles klappt reibungslos. 

 

Druckkammerbehandlung

Bernds Zustand bleibt unter Sauerstoffgabe und weiterer vorsichtiger Flüssigkeitsgabe unverändert. Atmung, Bewusstsein und Kreislauf sind stabil.  Und sein Buddy ? Ich fühle mich fit, hätte gern den vierten Tauchgang noch am Amphorenfeld mitgenommen. Aber jetzt bin ich „im Dienst“.  Zwischenzeitlich habe ich sogar Zeit gefunden, die VDST-Hotline anzurufen. „Hallo Herr Doktor, ich denke Sie sind im Urlaub ?“  Die Kostenübernahme des VDST für die Druckkammerbehandlung ist perfekt.  Ich steige in den Rettungswagen und begleite Bernd zum etwa 80km entfernten Druckkammerzentrum.  Der ausgelesene Tauchcomputer von Bernd zeigt uns drei einwandfreie Tauchgangsprofile, keine bedeutsame Gewebeübersättigung. Also:

 

(K)ein verdienter Tauchunfall !

Der Tauchcomputer berücksichtigt keinen Body Mass Index. Ist die Adipositas schuld ? Diese Fragen sind im Moment nebensächlich. Schon nach der ersten Druckkammerbehandlung sind die Ausfälle deutlich gebessert, es verbleiben noch leichte Gangstörungen. In den nächsten Tagen schließen sich noch vier HBO-Behandlungen an. Der Rückflug kann regulär mit seinem gebuchten Flug eine Woche nach dem Tauchunfall erfolgen.  

 

Unfallanalyse

Die Tauchgangsprofile ergeben keine Erklärung. Ein Tauchunfall ist meist das Resultat aus einigen Einflussfaktoren, die zusammentreffen und das individuelle Risiko ausmachen.  Eine „gültige“ Tauchsportärztliche Untersuchung ist keine Garantie für unfallfreies Tauchen. 

Als auslösende Faktoren sind bei Bernd sicher vorrangig die Adipositas zu nennen, die körperliche Belastung durch das An-Bord-Klettern über die Taucherleiter, vielleicht auch die kurze Anstrengung, der Schildkröte hinterher zu tauchen. Vielleicht auch Flüssigkeitsmangel ?  Knappe Oberflächenpause zwischen den Wiederholungstauchgängen ?

Daher stellen sich die Fragen: Ist bei adipösen Tauchern die Tauchtauglichkeit eingeschränkt ? Ist bei adipösen Tauchern das Tauchunfallrisiko erhöht ?  Die Antwort auf beide Fragen ist ein klares JA !

 

Tauchen mit Adipositas

Adipositas wird definiert über Größe und Gewicht und als „body mass index“ BMI (kg/m x m)  wiedergegeben (Abb. 1). 

WHO-Einteilung Kg/m x m
Untergewicht < 19,9


Normalgewicht 20,0 – 24,9
Übergewicht 25,0 – 29,9
Adipositas Grad I 30,0 – 34,9
Adipositas Grad II 35,0 – 39,9
Adipositas Grad III > 40,0


WHO-Einteilung der Adipositas

 

 

Adipositas geht häufig mit anderen Erkrankungen einher und begünstigt daher das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.  Patienten mit erheblichem Übergewicht leiden oft an behandlungsbedürftigem Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder erhöhtem Cholesterin.  Untersuchungen belegen ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs bei Frauen. Gelenkverschleiß („Arthrose“) und Schlafstörungen vor allem mit Schnarchen und Atemaussetzern (Schlafapnoe-Syndrom) sind ebenso wie Verminderung kognitiver Leistungsfähigkeit oder zunehmende Demenz Krankheitsfolgen der Adipositas. Ein BMI 30-35 geht statistisch mit einer Verkürzung der Lebenserwartung um 2-4 Jahre einher, ein BMI über 40 im Mittel um acht bis zehn Jahre – entsprechend einem Raucher.

Physiologie der Sättigung und Entsättigung – Blasenbildung bei Adipositas

Sättigung und Entsättigung der Gewebe sind abhängig von Durchblutungsrate des Gewebes, Fettgehalt, dem Löslichkeitsverhalten des Gases und besonders der Stickstoff-Löslichkeit im Fettgewebe, die 4,5mal höher als in Wasser ist. 

Das Zusammentreffen einer hohen Fettgewebsmasse, der hohen Löslichkeit des Stickstoffs (Lipophilie) und einer verminderten Gewebedurchblutung und eine langsame Elimination des Stickstoffs birgt ein hohes Risiko für einen Dekompressionsunfall (DCS).

Diese Daten wurden bereits 1999 in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung von D. Carturan  bestätigt : „Circulating Venous Bubbles in Recreational Diving: Relationships with Age, Weight, Maximal Oxygen Uptake  and Body Fat Percentage“ ,( Int J Sports Med 1999; 20: 410-414). Die Empfehlung aus dieser Untersuchung lautete, dass „Taucher mit hohem DCS-Risiko (Alter, Übergewicht, hoher Anteil an Körperfett, geringe Fitness) Tauchtabellen benutzen sollten, die diese Risikofaktoren einbeziehen“. 

Taucher mit Adipositas haben häufig eine geringe Leistungsfähigkeit und dadurch ein hohes DCS-Risiko. Das DCS-Risiko steigt besonders bei flachen Wiederholungstauchgängen (wiederholte Aufsättigung ohne ausreichende Entsättigung). Die Beschwerden können zeitlich deutlich verzögert einsetzen, manchmal um mehrere Stunden verzögert als zu erwarten. Die Gefahr der Dehydratation ist bei Adipösen größer, weil sie schneller und stärker schwitzen. 

Tauchtauglichkeit bei Adipositas ?

Durch das Übergewicht sind Adipöse schneller erschöpft, ihre Grenzwerte schneller erreicht.  Luftnot tritt schon bei geringerer körperlicher Belastung auf. Adipöse haben häufig Begleiterkrankungen, die medikamentös behandelt werden müssen: Bluthochdruck,  Diabetes mellitus, Arteriosklerose (Herzinfarktrisiko Schlaganfallrisiko),   Lungenfunktionseinschränkung und überlastungsbedingt Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden.

Tauchen mit Adipositas ?  Ja, aber…

Die Empfehlungen zum Tauchen bei Adipositas gibt die Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM eV). Bei einem BMI > 30 sollten keine deko-pflichtigen Tauchgänge und keine Wiederholungstauchgänge durchgeführt werden. Leistungssituationen unter Wasser sollten vermieden werden.  Sauerstoffangereicherte Atemgase bei Belassen des Tauchcomputers im 21%-Modus und ein Sicherheitsstop mit nachfolgendem Aufstieg aus den letzten fünf Metern in fünf Minuten (1 Meter / Minute !) erhöhen die Sicherheit. 

Taucher, Tauchausbilder und Taucherärzte müssen die Risiken kennen und beachten, um das Tauchen auch mit Adipositas sicher zu ermöglichen. TauchSPORT sollte der Wegbereiter sein für eine gesundheitsfördernde Freizeitgestaltung. 

 

 

Ein Gedanke zu „SCHWERELOS MIT SCHWERGEWICHT

  • 20. Oktober 2020 um 08:46
    Permalink

    Dies hier ist ein Kommentar zu einem Kommentar dieses Artikels, der eine alternative TTU vorschlägt u.a. mit Klimmzuügen und Liegestützen. Dies halte ich für ungeeignet, weil mit Klimmzügen und Liegestützen die Armmuskeln „abgefragt“ werden. Dagegen sind für das Schwimmen unter Wasser m.E. ganz entscheidend die Beintechnik und die entsprechende Kraft und Kondition in den Beinen relevant. Ich weiß nicht, wie man das gut über Wasser testen kann, jedoch sicher weder mit Klimmzügen n och mit Liegestützen. Auch beim Belastungs-EKG wird Fahrrad gefahren und nicht die Flossenschwimmtechnik evaluiert. Ich vermute, dass ein geübter Fahrradfahrer hier relativ besser abschneidet, als ein gübter Flossenschwimmer.

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