TÖDLICH GEFANGEN

Apnoe-Übungen sind Teil unserer Tauchausbildung – mit klaren Regeln – aber auch hier können Unfälle passieren


An einem Steinbruch in Mittelhessen trifft sich eine Vierergruppe Taucher, um Apnoe-Tieftauchübungen an einer in zehn Meter Tiefe fest verankerten Plattform zu unternehmen. Sven (alle Namen geändert) übt für eine in Kürze bevorstehende VDST-Tauchlehrer 1 Praxisprüfung. Der See ist ein Verbandssee mit einem ständig besetzten „TLvD“, einem Tauchlehrer vom Dienst. An diesem Tag herrscht, wie an so vielen Tagen 2019, reger Tauchbetrieb. Sven wird bei seinem Tauchversuch von Lutz, einem Apnoe-TL, abgesichert und begleitet. Schon beim Abtauchen gerät Sven aus Versehen mit einem Bein in das dauerhaft befestigte Bojenseil der Plattform. Er bemerkt es, dreht sich nach oben um und ist damit gefangen. Das zeigefingerdicke Seil hatte sich nun fest um seinen Oberschenkel gelegt. Lutz bemerkt es und versucht sofort, Sven zu befreien – mit aller Kraft und sogar solange, bis auch er bewusstlos wird. Nun sind beide unter Wasser – ohne Besinnung und ohne Atmung. Sina, die mit ihrem Tauchpartner noch an der Oberfläche wartet, wird das nun zu lange – sie taucht ab und sieht beide Taucher regungslos. Sie greift beide, doch nur Lutz kann sie nach oben bringen. Sven ist fest vom Seil umklammert. Hilferufe alarmieren nun viele Helfer. Lutz wird an Land gebracht und ist nach HLW und Sauerstoffgabe nach einiger Zeit wieder ansprechbar. Eine in der Nähe wartende Gerätetaucherin macht sich sofort bereit, schwimmt zur nahen Plattform und schneidet Sven unter Wasser los. Auch hier folgen Sofortmaßnahmen, wie aus dem Lehrbuch. Ein Arzt ist vor Ort und übernimmt die Koordinierung. Viele Tauchlehrer werden in die Rettung eingebunden. Der TLvD alarmiert zwei Reanimationsteams und die Leitstelle schickt zusätzlich einen Rettungshubschrauber, der auf dem nahen Sportplatz landet. Sven wird ebenso erfolgreich reanimiert, obgleich sein Zustand viel schlimmer ist. Die Notärzte entscheiden sich, beide mit den bereitstehenden Rettungswägen in die Kliniken zu bringen, vermutlich deswegen, um beim Transport besser eingreifen zu können. In der Klinik lebt Sven aber nur noch wenige Tage. Es ist ein Schock für alle – für die Beteiligten, die Freunde und Angehörigen. 

Was dann folgt, ist leider nichts Neues. Wir bekommen Mails zugespielt, von Menschen, die zwar nicht dabei waren – aber im Nachhinein alles besser wissen – und Mutmaßungen anstellen, was hier alles nicht richtig „gelaufen“ ist. „Das Bojenseil war bestimmt zu dünn…der Taucher ist bestimmt mit der Schnalle der Geräteflosse im Seil hängen geblieben..“ und vieles mehr. Nichts davon traf zu. 

Fakt ist – die Übung fand nach den geltenden Regeln statt. Nach unserer Kenntnis gab es bisher keinen vergleichbaren Fall. Gleichwohl gilt es zu handeln. Der Landesverband untersagte bis zur Klärung alle Apnoe Übungen in diesem See und ließ alle fest verankerten Bojen entfernen. Der VDST Fachbereich Ausbildung begann mit der Aufarbeitung. Wir baten die Deutsche Sporthochschule Köln, den Unfallhergang nachzustellen. Das Team um VDST TL3 Fabian Möller konnte zeigen und mit Videos dokumentieren, dass man sich sehr wohl in ein dickes und straffes Seil verfangen kann und dass es nahezu unmöglich ist, sich wieder zu befreien. Die Versuche zeigten aber auch, dass es heute kleine Hilfs- und Rettungsmittel gibt, die lebensrettend sein können – kleine Werkzeuge, ähnlich einem Gurtschneider. Wir verwendeten am Unfalltag ein Eezycut um die restliche Leine an der Plattform zu entfernen – in einer Sekunde war damit das dicke Seil gekappt.

Erweiterte Apnoe Regeln:
• Jeder Taucher muss ein Schneidwerkzeug dabei haben – auch der Sicherungstaucher.
• Bei fest verankerten Bojen muss ein Schnellabwurfsystem vorhanden sein.
• Ansonsten dürfen nur Leinen zur Orientierung mit kleinem Grundgewicht genutzt werden.
• Rettung eines Apnoe Tauchers, der sich in Leine verfängt, muss in der Praxis geübt werden. Neue Übungen hierzu wurden in die Apnoe-Ausbildung integriert.


Unser Autor:
Dipl-Ing. Frank Ostheimer,
Stv. Bundesausbildungsleiter,
Ressortleiter Tauchtechnik




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