SELBSTVERANTWORTUNG
Wie die Missachtung von Empfehlungen zum Tauchunfall führen kann.
Herbert erfüllt sich einen Traum…
Herbert ist 67 Jahre alt, rüstiger Rentner und endlich zeitlich ungebunden. Sein Traum: eine Tauchsafari im Marinepark Süd. Geplant sind vierzehn Tage auf einem luxuriös ausgestatteten Safarischiff. Herbert ist CMAS-3-Stern-Taucher mit ca 295 Tauchgängen. Sein Hausarzt bescheinigt ihm nach kurzer körperlicher Untersuchung eine uneingeschränkte Tauchtauglichkeit. Für eine Kontrolluntersuchung bei seinem behandlenden Kardiologen (Herzspezialist) hat er keinen Termin mehr bekommen. Aber seit Monaten verspürt Herbert keine Herzrhythmusstörungen mehr, zumal er seine Medikamente gegen Vorhofflimmern pünktlich einnimmt.
Auf dem Traumschiff
In den ersten zehn Tagen an Bord hat Herbert keinen Tauchgang ausgelassen, so hat er bis dahin sechsundzwanzig Tauchgänge loggen können, meist drei pro Tag. Der dritte Tauchgang an Tag 10 war wieder ein highlight über sechzig Minuten und bis auf 27 Meter, natürlich wie alle anderen Tauchgänge zuvor auch mit Nitrox 32. Dreißig Minuten später an Bord empfindet Herbert eine brennende Hautrötung an den Schultern und am Bauch. Er fühlt sich müde, schließlich war es wieder ein aufregender Tauchtag. Er zieht sich in eine ruhige Ecke an Bord zurück und bekommt kurz daraufhin vom Guide eine Sauerstoffmaske gereicht. Zwanzig Minuten atmet er den Sauerstoff ein und ist wieder fit. Am nächsten Tag lässt Herbert zwei Tauchgänge schweren Herzens aus. Auf den Nachmittagstauchgang will er aber auf gar keinen Fall verzichten, obgleich kein Nitrox mehr zur Verfügung steht. Tag 12 verspricht bizarre Korrallenriffe und einen one-way-Drift-Tauchgang. Die drei Tauchgänge sind wie die anderen auch tief und lang, aber sämtlich an der Nullzeitgrenze.
Der zweite Unfalltauchgang
ist der dritte an diesem Tag und geht auf 28 Meter über 62 Minuten. Eine Dekowarnung wird nicht angezeigt. Herbert legt seine Ausrüstung ab und geht unter Deck um zu duschen. Mittlerweile ist eine Stunde seit dem Tauchgangsende vergangen. Unvermittelt wird Herbert plötzlich stark schwindlig, er stürzt in seiner Duschkabine und verletzt sich im Gesicht. Wieder setzt unerträgliches Brennen an der Brust- und Bauchhaut ein, es bilden sich rötlich-bläuliche Flecken aus. Herbert ruft um Hilfe und wird von der Crew und weiteren Gästen an Deck gebracht. Wieder atmet er reinen Sauerstoff über die Maske und bekommt Mineralwasser und Tee gereicht. Nach Anforderung eines Schnellbootes wird Herbert in die Druckkammer Marsa Alam gebracht. Nach dreimaliger HBO-Therapie sind die Beschwerden mit Ausnahme der Gesichtsschmerzen gebessert, Herbert wird entlassen. Auf seinem Entlassungsschein steht: „ schwerer Dekompressionsunfall DCS II“
Analyse
Ein Tauchunfall entsteht nie aus heiterem Himmel. Mehrere Einflussfaktoren treffen zusammen, von denen einige nicht beeinflussbar sind, andere aber sehr wohl vom Taucher selbst zu verantworten sind. Bereits vor Antritt der Reise hätte Herbert wegen seiner Herzerkrankung eine gründliche kardiologische Kontrolle durchführen lassen müssen. Eine rein körperliche Untersuchung ohne Belastungs-EKG und ohne Lungenfunktion entspricht nicht den Empfehlungen der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM). In Abhängigkeit von seinem Trainingszustand wären Einschränkungen zu erwarten, und ein erfahrener Taucherarzt hätte Empfehlungen für das Tauchverhalten geben können. „Non-limit“-Tauchen kennzeichnet das Tauchverhalten auf Tauchsafaris. Nitrox als Atemgas ist keine Garantie zum Schutz vor einem Dekompressionsunfall! Zudem hat sich Herbert voll und ganz auf seinen Tauchcomputer verlassen, der ihm nie eine Deko-Warnung gegeben hätte. Die auffällige Müdigkeit und die brennenden Missempfindungen der Haut am Tag 10 sind Anzeichen eines Tauchunfalls mit milden Symptomen entsprechend der Einteilung der „Leitlinie Tauchunfall“ der GTÜM. Die Sauerstoffgabe ist erfolgreich und angemessen durchgeführt, setzt aber die Restsättigung für Wiederholungstauchgänge nicht auf Null. Herbert hat die Empfehlungen für eine tauchsportärztliche Untersuchung nach Tauchunfall außer acht gelassen. Die Tauchpause von nur zwei Tauchgängen am Folgetag und das fortgesetzte Tauchen mit Druckluft sind die Wegbereiter für den schweren Tauchunfall mit erforderlicher Druckkammerbehandlung. Seine körperliche und seelische Verfassung sind nach diesem Tauchurlaub alles andere traumhaft.
Ist Herbert selbst schuld?
Ja und Nein!
Nein, weil er mit der Aussage seines Hausarztes zufrieden war und die Folgen der nur sehr eingeschränkten Untersuchung als Laie nicht absehen konnte. Nein auch, weil er sich auf Technik, seine Guides und Mittaucher verlassen hat, denn keiner von denen hatte Anzeichen eines Tauchunfalls. Niemand hat eine Tauchpause eingelegt. Alle waren aber auch mindestens zehn Jahre jünger und gesünder als er…Ja, Herbert trägt eine nicht unwesentliche Schuld am jähen Abbruch seines Traumurlaubs: jeder Taucher trägt ein gewisses Maß an Selbstverantwortung! Dabei sollte man sich an Empfehlungen und Regeln erinnern, die zu Beginn der Tauchausbildung gegeben werden, weil sie zur Sicherheit beim Tauchen beisteuern! Mit steigender Tauchgangszahl verliert sich bei manchen Sporttauchern dieses Wissen zugunsten eines gestiegenen Risikoverhaltens, „weil es ja immer gut gegangen ist“.
Unser Autor:
Dr. med. Konrad Meyne
Internist, Notarzt, Taucherarzt
VDST-Beauftragter Tauchen im Alter Hotlinearzt, TL2