SARDINIEN

Vor Sardiniens Nordspitze in Sichtweite Korsikas liegt ein fantastisches Tauchrevier. Mit dem Orca Dive Club Sardinien in Santa Teresa di Gallura ist es für deutsche Taucher endlich wieder aus dem Dornröschenschlaf erwacht.


Steckbrief: Orca Dive Club Sardinien 
Wo: Santa Teresa di Gallura, Nordküste Sardinien (Italien)/Mittelmeer
Wann: Mitte April bis Oktober
Warum: Viele rote und gelbe Fächerkorallen, breit gefächerte Tierwelt
Besonderheiten: Ausfahrten zu den Zackis an den Lavezzi-Inseln
Kosten: TG 49 Euro, 10er Karte 351 Euro
Weitere Infos: www.orca-diveclubs.com


Vor mehr als 30 Jahren gab es neben Santa Teresa di Gallura, dem ehemaligen Fischerörtchen an der Nordküste Sardiniens gegenüber Korsikas Südflanke, die deutsche Tauchschule von Joschi Kiesel. Als der Bayer nach vielen Jahren seine Basis aufgab, fiel das Tauchgebiet für den deutschen Markt schlagartig in eine Art Dornröschenschlaf. Zum Leidwesen aller, die sich in diese Unterwasserwelt verliebt hatten. Schließlich wartet dort eine abwechslungsreiche Szenerie aus gigantischen Granitfelsen, die an vielen Stellen von roten und gelben Fächerkorallen bewachsen sind. In den Riffen leben viele Arten von Meeresbewohnern, darunter auch Großfische. Außerdem gibt’s einige Wracks, Seit 2017 befinden sich direkt im Hafen von Santa Teresa di Gallura auch wieder eine Anlaufstelle für deutsche Taucher. Die vor allem aus Ägypten bekannten Orca Dive Clubs sind mit der Tauchbasis von Alfredo Cremona eine Partnerschaft eingegangen. Die als Straße von Bonifacio bekannte, nicht mal 20 Kilometer breite Meerenge ist geprägt von Strömungen. Zum Getier, das regelmäßig durch diese Passage schwimmt, zählen Großfische jeder Art und sogar einige Walarten. Unter Wasser herrschen also beste Bedingungen für alles, was im Mittelmeer lebt. Das gilt besonders für die Mittelmeer-Fächerkorallen, die – im Gegensatz zu einigen anderen Küstenabschnitten Sardiniens – im Norden der Insel besonders üppig wachsen. Hier können Taucher die roten und gelben Gorgonien bereits an etlichen Stellen in gemäßigten Tiefen um die 30-Meter-Marke bestaunten. Gut zu wissen: Selbst die typischen Anfängerreviere in den bei jedem Wetter geschützten Buchten sind bunt verkrustet. Einige Tauchplätze wie in der Cala (Bucht) Spinosa oder besonders die Cala Contessa zeigen sich dazu mit einer klasse Unterwasserlandschaft. Das Granitgestein, aus dem die Halbinsel Capo Testa besteht, findet seinen Fortsatz unter Wasser. Dort liegt es in Form von gigantischen Blöcken, bildet hier enge Canyons, dort schmale hohe Felsspalten, die ebenso durchtaucht werden können wie etliche kleine Tunnel. Die schattigen Partien der Unterwasserlandschaft sind wie in vielen Mittelmeer-Regionen von bunten Verkrustungen verziert oder mit den für das europäische Hausmeer typischen Gelben Krustenanemonen bewachsen. Während viele Nacktschnecken-Arten abhängig von der Jahreszeit in größerer oder geringerer Zahl vorkommen, lassen sich Oktopus, Muränen und Drachenköpfe davon nicht beeindrucken. Taucher, die wissen, wo sie ungefähr suchen müssen, finden diese Meeresbewohner sicher bei (fast) jedem Tauchgang. Unter den Großfischen stechen in erster Reihe die meist stoisch kreisenden Barrakudas hervor. Sie sind im Mittelmeer die wohl am häufigsten zu beobachtende Art des Freiwassers. Sobald die Wassertemperaturen in den Sommermonaten wärmer werden, ändert sich ihr Verhalten und sie sind häufiger direkt in der Nähe oder gar über den Riffköpfen anzutreffen. Ein Platz, an dem die Roten Gorgonien sicher und die Barrakudas mit großer Wahrscheinlichkeit zu sehen sind, ist das Riff Secca Joschi. Der Name ist eine kleine Verbeugung vor dem bayrischen Sardinien-Pionier, der (auch) diese Untiefe entdeckt hat. Zu seinen Zeiten in den 80ern firmierte der Tauchplatz als 27-Meter-Riff. In dieser Tiefe liegt nämlich der höchste Punkt und bis dahin heißt es für alle Taucher erst mal freier Fall oder bei Strömung Abstieg am Seil. Es wäre vermessen (um nicht zu sagen geflunkert), wenn ich behaupten würde, nach fast 40  Jahren, damals war ich zum ersten Mal dort, das Riff wiedererkannt zu haben. Klar – die Felsformation an sich hat sich nicht verändert. Aber als junger Taucher war ich damals in den dem Abstieg zum Riffkopf folgenden Tiefenmetern viel zu aufgeregt, um irgendwas aufzunehmen. Abgesehen von einer Vielzahl größerer Fische wie jugendlichen Zackenbarschen, gelegentlich vorbeiziehenden Bernsteinmakrelen, ausgewachsenen Zahnbrassen und von den Roten Gorgonien mit gigantischen Ausmaßen. Die waren dermaßen beeindruckend, dass mir bis heute oft dieses Riff in den Sinn kommt, wenn mir jemand von großen Mittelmeer-Fächerkorallen erzählt. Lange Rede kurzer Sinn: es gibt sie noch, wunderschön wie eh und je und die Fische sind auch da. Etwas anderes hat sich rund um Santa Teresa dagegen eklatant verändert, allerdings zum Positiven. Bis in die 90er riskierten professionelle Korallentaucher aus dem korsischen Bonifacio und Capo Testa ständig Kopf und Kragen, um mit Hammer und Beutel Edelkorallen abzuschlagen und nach oben zu bringen. Als die Art in flachen Tiefen nur noch in Zahnstochergröße vorhanden war, gingen diese Gesellen bis teils über 100 Meter runter. Mit Luft wohlgemerkt. Jeder verbrachte nach einem Tauchgang Stunden in der Dekokammer an Bord des Mutterschiffs. Und einige der Draufgänger verbringen seit ihrem letzten Tauchgang den Rest der Ewigkeit auf einem Friedhof.  Die Verlockung war groß: das Rote Gold, wie die Edelkorallen auch genannt wurden, wurde früher tatsächlich gegen echtes Gold aufgewogen. Aber die Zeiten ändern sich, die unzähligen Juwelierläden bieten längst keine Edelkorallen mehr an – und vor allem: Die Bestände haben sich erholt. So muss also niemand zwingend zum 27-Meter-Riff, um eine intakte Unterwasserwelt zu erleben. In dieser Hinsicht gleich doppelt bemerkenswert ist der Tauchplatz Schwarze Koralle am Außenriff vor der Küste bei Santa Teresa. Logo, dass hier der Name Programm ist, aber die Fächer der Savalia savaglia, wie die Art zoologisch heißt, stehen an diesem Riffabschnitt inmitten eines kleinen Waldes von Roten und Gelben Gorgonien. Dazu kommt, dass der Platz zu denen gehört, die der Basis am nächsten liegen. Als kleines Puderzucker-Krönchen ragt in unmittelbarer Nähe außerdem eine antike römische Amphore aus dem rund 35 Meter tiefen Meeresboden. Freunde des alten Eisens kommen vor Santa Teresa di Gallura ebenfalls auf ihre Kosten. Da ist zum einen das (teils arg zerdepperte) etwa 15 Minuten entfernte Wrack der „Angelika“. Es liegt anfängertauglich in Tiefen bis rund 20 Meter verstreut. Zur Sache geht‘s dagegen beim Abstieg zum „Wreck of Spargi“. Gebaut Ende des 19. Jahrhunderts liegt es nun unweit der Insel Spargi in auf 48 Meter tiefem sandigem Grund. Klar, dass es sich angesichts dieser Tatsache um einen Abstieg für erfahrene Taucher handelt, bei dem nicht zuletzt auch das Wetter und die See mitspielen müssen. Ein weiterer Höhepunkt der Programmliste des Orca Dive Clubs Sardinien ist der Ausflug zu den zahlreichen Zackenbarschen vor den zu Korsika gehörenden Lavezzi-Inseln. Die Vorfahren der fetten Brummer werden dort schon gelebt haben, als das heute französische Korsika noch im Besitz des damaligen Stadtstaates Genua war. Deswegen klingt dort auch so vieles bis heute italienisch. Während sich die Tiere damals aber wohl sicher sein konnten, dass von oben nix Gutes kommt und sie um ihr Leben fürchten mussten, ist es jetzt genau anders herum. Längst liegen die beiden Inselchen in einem Marineschutzpark und wie überall, wo das so ist, erholen sich die Bestände. Weil die Zackenbarsche früher regelmäßig gefüttert wurden, sind auch die jungen Generationen Tauchern gegenüber sehr zutraulich und kommen ganz nah. Das freut auch Unterwasserfotografen. Bei soviel Unterwasserabenteuern ist ein Landausflug (oder mehrere …) sicher eine  willkommene Abwechslung. Außer dem Bummel durch das kleine Zentrum von Santa Teresa lohnt ein Ausflug in die Archäologie. In der Nähe gibt es das kleine Museum neben den Resten der uralten Nuraghensiedlung Lu Brandali. Für einen Abstecher in die ebenso mondäne wie trubelige Stadt Porto Cervo an der Costa Smeralda im Osten Sardiniens ist das Auto nötig. Apropos: Wer nicht mit dem eigenen auf der Fähre etwa von Genua gekommen, sondern nach Olbia geflogen ist, für den ist ein Mietwagen fast unumgänglich. Wie auch immer die Reise in den Nordteil Sardiniens bewältigt wird – sie lohnt für Taucher auf jeden Fall. Ganz ohne jeden Zweifel zählt dieses Tauchgebiet zu den abwechslungsreichsten und lebhaftesten des Mittelmeers.

Frank Schneider
ist Fotojournalist und Co-Herausgeber/Chefredakteur des kostenfreien online-Magazins diving-Europe www.divingeurope.de 





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