IM RAUSCH DER TIEFE

Teil 10


 

  

 

 

 

 

 

Stickstoff wird bei tiefen Tauchgängen zur Spaßbremse, auch wenn die einsetzende Wirkung eher als „Rausch“  mit Kontrollverlust fehlgedeutet wird.

 

Unkontrolliert in die Tiefe? Das ist überaus leichtsinnig und kann tödlich enden!

 

 

 

Die kleine Tauchgruppe aus vier erfahrenen Taucherinnen und Tauchern macht sich bereit zum Tauchgang an der MV Xlendi, einem ehemals als Fähre zwischen Malta und Gozo eingesetzten Schiff. Geplant ist der Abstieg zum Heck an der Schraube. Das Wrack liegt „bäuchlings“ und darf nicht betaucht werden, da sich Teile im Inneren des Schiffes lösen können. Nahe des Wracks liegt ein Jeep auf etwa 41 Meter Tiefe. 

Nach einer kurzen Abtauchphase erscheint der Schatten des Wracks. Mein Tauchpartner Bernd ist bei der klaren Sicht begeistert am Fotografieren und Filmen. Die Gruppe signalisiert, den Tauchgang aufsteigend an der Kiellinie zu beenden und zur Felskante zurück zu tauchen. Bernd hat sich zum Filmen von der Gruppe in Sichtweite entfernt, taucht aber ohne erkennbaren Grund weiter ab. Die Tiefe ist mehr als vereinbart, die Zeichen, die wir zum Auftauchen geben, beantwortet er mit einem weit ausladenden OK-Zeichen ohne unserer deutlichen Ansage zu entsprechen. Unsere Nullzeit ist längst überschritten, der Umkehrdruck schon unterschritten, als wir uns entscheiden, zu zweit abzutauchen um Bernd zum Auftauchen zu bewegen. Sein Finimeter zeigt mittlerweile nur noch 70 bar.  Als wir bei ihm sind, sind seine Augen weit aufgerissen, sein Blick wirkt trotzdem „entrückt“. Seine Reaktionen auf unsere Aufforderungen zum Auftauchen sind aggressiv-zurückweisend. Letztlich müssen wir ihn zu zweit zum Auftauchen zwingen, seine Tauchpartnerin folgt uns und der Aufstieg gelingt unter Einhaltung der Aufstiegsgeschwindigkeit letztlich noch am Zweitatemregler ohne Gefahrenmomente.

An der Wasseroberfläche erinnert sich Bernd nicht mehr an die Ereignisse auf  der Tiefe von 42 Meter. Seine Fotos aus der Tiefe sind unscharf oder schwarz. Fast ungläubig folgt er unserem Nachbriefing. Wir haben eine Sauerstoffflasche der Tauchbasis dabei und lassen Bernd über eine halbe Stunde Sauerstoff über eine Reservoirmaske inhalieren.

 

Fehleranalyse

Wir fragen uns: was war denn los ? Unsere Erklärung fokussiert sich immer mehr auf einen Tiefenrausch. Unser getauchtes Profil gibt keine Hinweise für einen „verdienten“ Tauchunfall. Die Rekonstruktion des Tauchgangs und der Symptome deuten auf einen Tiefenrausch. Warum nur bei Bernd? Er erzählt uns, dass er in der Nacht zuvor wenig geschlafen hat, bei den hohen Temperaturen auch relativ wenig getrunken. Er sei sich der Bedrohlichkeit seines Verhaltens durch das Entfernen von der Gruppe und das unkontrollierte Abtauchen auch in keinster Weise bewusst gewesen. Er sei beglückt, euphorisch gewesen von den Farben des Meeres und hätte eigentlich nicht mehr auftauchen wollen. An seinen Finimeterdruck oder den vereinbarten Umkehrdruck kann er sich nicht mehr erinnern. Einzig sei gewesen, dass er sich wegen des schlechten Geschmackes seiner Atemluft beschweren wollte. 

 

Fazit

Bernds Verhalten ist vereinbar mit einem Tiefenrausch. Ein Tiefenrausch ist definitionsgemäß eine Gasvergiftung durch Stickstoff beim Tauchen mit Pressluft in größeren Wassertiefen. Eine Stickstoffvergiftung kann bei Teildrücken ab 3,2 bar auftreten. Stickstoff wirkt beim Menschen ähnlich wie ein Narkosegas, nur wesentlich schwächer. Die Anfangsstadien dieser Stickstoff-Narkose sind einem Alkohol- oder Drogen-Rausch vergleichbar. An den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen zur Informationsweiterleitung (Synapsen) kann Stickstoff zu einer Verzögerung der Impulsübertragung zur nächsten Nervenzelle führen. Der Tiefenrausch kann von weiteren Faktoren abhängen. So können Streß und Angst während des Tauchganges, Erschöpfung, Alkohol, Drogen, Medikamente und Schlafmangel eine Stickstoffvergiftung begünstigen.
Der Taucher ist häufig nicht mehr in der Lage, den Tiefenrausch selbst zu erkennen (Tab. 1). Weiteres Abtauchen führt in die Bewusstlosigkeit und in den Tod.

  

Warum nur Bernd ?

Die Toleranzgrenze für den Tiefenrausch ist sehr variabel, nicht nur von Taucher zu Taucher, sondern beim selben Taucher zu unterschiedlichen Zeiten. Begünstigende Einflüsse sind aber bekannt und lassen die Vermutung eines Tiefenrausches in Abgrenzung zum Dekompressionsunfall wahrscheinlicher werden (Tab. 2).

 

Wie vermeide ich einen Tiefenrausch ?

Untersuchungsreihen in Druckkammern haben versucht, unter standardisierten Bedingungen einen „Tiefenrauschtest“ zu entwickeln. Die Ergebnisse zeigen die individuelle Empfindlichkeit für das Auftreten eines Tiefenrausches, aber eine „Gefährdungsanalyse“ für den Taucher ist wegen der vielfältigen Einflußfaktoren beim Tauchen  nicht möglich. Der VDST hat einen Tiefenrauschtest in der Praxis erprobt. Aber ein „Geht“ oder „Geht Nicht“ wird auch dadurch nicht zu erwarten sein, weil die individuelle Empfindlichkeit einen Tiefenrausch zu entwickeln, sehr unterschiedlich ist.

Der Taucher muss überwacht werden, seine Mittaucher müssen Ersthelfer-Maßnahmen  den erkennbaren Beschwerden (Symptomen) entsprechend anwenden. Sauerstoffgabe ist in jedem Fall über Wasser zwingend erforderlich. Bei unklaren Symptomen ist immer der Notruf abzusetzen und die Tauchunfall-Hotline des VDST einzuschalten. Bei einem Tiefenrausch ist meist keine HBO-Therapie in einer Druckkammer erforderlich. 

 

Wichtig: auch bei unspektakulären Tauchgangsprofilen beim Auftreten merkwürdigen Verhaltens  immer an den Tiefenrausch denken und auftauchen !

2 Gedanken zu „IM RAUSCH DER TIEFE

  • 13. März 2019 um 19:48
    Permalink

    Hallo an das Team, leider kann ich den im Heft Sporttaucher / Nr. 2 angekündigten Download zum Neurocheck nicht finden.
    Bitte um den Link oder Hinweis oder um eine Zusendung.
    Danke !
    Viele Grüße
    Gerhard

    Antwort
    • 14. März 2019 um 15:48
      Permalink

      Hallo Gerhard,
      vielen Dank für Deinen Hinweis – da war die Druckerei mal wieder schneller als das Internet. Der Artikel samt PDF zum download ist jetzt online!

      Antwort

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