FISCH DES JAHRES 2021
Die Äsche- Nur wenige Fische prägen ihren Lebensraum so, dass eine ganze Region nach ihnen benannt wird
In der Äschenregion fließt das Wasser von Bächen und Flüssen klar, kühl und sauerstoffreich. Nur dann fühlt sich die Äsche pudelwohl. Aber der Idealzustand ihrer Gewässer wird immer seltener angetroffen.Herbert Frei hat sich auf die Spur nach einer grauen Eminenz gemacht. Kaum ein Fisch ist scheuer, unnahbarer und flinker als Thymallus thymallus. Da stellt sie sogar die pfeilschnelle Forelle in den Schatten. Dass sie eminent rasant beschleunigen kann und eine phänomenale Wendigkeit besitzt, zeigt sich, wenn sie Jagd auf Elritzen macht. Da ist Speed gefragt. Und den hat sie wie kaum ein anderer Süßwasserfisch. Deshalb hat auch das Fotografieren von Äschen in ihrem Lebensraum den Anflug einer Lebensaufgabe. Zumal der mit silbrigen Schuppen besetzte Körper je nach Blitzstellung das Licht wie ein Spiegel reflektiert. Verzweigen sich die Fließgewässer in der Äschenregion, dann dringt Thymallus auch in stille Flussnebenarme und Quelltöpfe vor, sofern die Wasserqualität stimmt und das Nahrungsangebot vorhanden ist. Äschen weiden mit ihrem samtweichen Maul Steine und Kiesflächen nach Würmern, Schnecken und Fischlaich ab. Sie machen übrigens auch nicht vor dem eigenen Nachwuchs halt. Wenn der nicht aufpasst, endet er im Magen der gefräßigen Verwandtschaft. Die spitze Pupille der Äsche eignet sich insbesondere zum Aufspüren von Wasserinsekten und deren Larven. In Skandinavien geht die Äsche auch ins Brackwasser und lebt dort ebenso in den großen, klaren Seen. In südlichen Ländern fehlt sie weitgehend, denn sie liebt Wasser mit 18° Celsius. Laien können Äschen übrigens an der charakteristischen fahnenartigen Rückenflosse erkennen. Äschen kämpfen zwar an der Angel von Sportfischern lang und ausdauernd, aber sie vertragen keine nervlichen Belastungen. Es sind aquatische Nervenbündel. Wenn sie erschreckt werden, weil sich ein UW-Fotograf unbemerkt auf Armdistanz genähert hat, sinken sie zu Boden, als ob sie der Schlag getroffen hat und drehen den Bauch nach oben. Diese Taktik verwenden sie auch, wenn sie sich vor ihren Fressfeinden schützen wollen. Es klappt aber nicht immer. Dann enden sie im Magen von Hecht oder Wels. Äschen sind scheue, wilde Schönheiten, die eine reich strukturierte UW-Landschaft bevorzugen. In Gumpen, Kolken und über kiesigem Untergrund ist sie die Herrin im Strom. Mitunter bilden sie kleine Schwärme, Einzelgänger stehen auch zwischen Wasserpflanzen oder ruhen am Grund. Im Mittelalter glaubten die Menschen, die Äsche hätte blaues Blut, weil sie das Aussehen einer Adligen habe. Weil ihr Fleisch den leichten Geruch von Thymian verströmt, nennt man sie auch den Thymianfisch. Äschen lassen sich schlecht halten und kaum lebend transportieren, deshalb hat sich die Äschenzucht als nicht besonders wirtschaftlich erwiesen. Rekordäschen werden bis 60 Zentimeter lang bei etwa drei Kilogramm Lebendgewicht. Berichtet wird von einem Exemplar mit sieben Kilogramm, das in Finnland gefangen wurde. Eine solche Äsche wird dann zum ultimativen Raubfisch. Weil viele Äschengewässer durch menschliche Einflüsse ihren typischen Charakter verloren haben, Verbauungen die Wanderungen zu den Laichplätzen beeinträchtigen und immer mehr Kormorane Jagd auf die im Flachwasser ablaichenden Äschen machen, ist ihr Bestand drastisch zurückgegangen. Thymallus hat es nicht leicht im Leben. In dieser Hinsicht ergeht es ihr wie dem Fotografen, der ihr auf der Spur ist. Beide sind dem Herzschlag nahe, wenn sie sich begegnen. Die Äsche vor Schreck, der Fotograf vor Glück.
Unser Autor:
Herbert Frei
Fotograf und Autor