TOD IM TROCKI
Sven ist erfahrener Taucher, er taucht seit Jahren in seinen Heimatgewässern im Trockentauchanzug. Nie gab es Probleme. Sein „checkup“ im Trocki endet tragisch – tödlich.
Zur Vorgeschichte: Die Saison startet, Sven möchte nach Abtauen der Eisdecke auf dem heimischen Tauchsee sein Equipment auf der sicheren Seite wissen. Mit seinem Tauchbuddy beschließt er einen flachen Tauchgang, um vor allem die Dichtigkeit der Manschetten zu testen.
Der Unfalltauchgang
Sven taucht ab, die ersten Meter im Abtauchen sind problemlos. Dann verspürt er Wassereinbruch über die linke Armmanschette. Das kalte Wasser steigt auf bis zum Oberarm. Die Luftinsufflation lindert das Problem nicht. Sven gibt das Zeichen zum Aufstieg. Am Einstieg angekommen signalisiert Sven, dass er nochmal die Undichtigkeit nach Korrektur der Armmanschette prüfen will. Sie sind im stehtiefen Wasser nahe des Einstiegs. Sein Buddy sieht ihn vermeintlich im sicheren Bereich und verlässt den See in Abstimmung mit Sven. Nach 20 Minuten ist Sven noch nicht vom Tauchgang zurück. Der beunruhigte Buddy läuft zum Einstieg und sieht Sven mit aufgeblasenem Trocki an der Wasseroberfläche treiben. Seltsam – Sven atmet nicht, sein Jackett und Flasche sind nicht zu sehen. Nach einem Sprung ins Wasser zieht Bernd den leblosen Körper aus dem Wasser. Aufmerksame Taucher haben den Notfall erkannt und leiten die Rettungskette ein. Die Wiederbelebung – ein Versuch Mit Hilfe von drei weiteren Tauchern gelingt die Rettung des leblosen Körpers an den Steg. Es ist nur eine erste Stufe am Trocki noch angeschlossen. Ein Helfer beginnt mit fünf kräftigen Atemstößen, wie gelernt beim Ertrinkungsunfall. Sven zeigt keine Reaktion. Seine Gesichtshaut ist blass-bläulich verfärbt. Seine Augen sind weit geöffnet. Zum Zeitpunkt der Rettung hat er keine Maske auf. Auf die „rescue breaths“, die ersten fünf Atemspenden zur Wiederbelebung, folgen 30 Herzdruckmassagen. Die Helfer sind geschult, alle sind zuversichtlich, durch die eingeleitete Herz-Lungen-Wiederbelebung Sven zu retten.
Der Rettungsdienst
Der Hubschrauber landet etwa acht Minuten nach der Alarmierung am Tauchplatz. Alle hoffen auf die professionelle Rettung, aber dann…Der Versuch, den Trockentauchanzug soweit aufzuschneiden, dass zunächst das Anlegen der AED-Elektroden möglich wird, scheitert. Ist die Halsmanschette noch zu durchtrennen, so stellt sich der doppelte Reißverschluss des Trocki allen Versuchen entgegen. Die professionelle „Retterschere“ versagt. Gleichzeitige Versuche, zumindest einen Arm freizuschneiden, um einen venösen Zugang für die intravenöse Gabe lebensrettender Medikamente zu finden, werden durch den Manschettenring unüberwindlich schwierig. Herzdruckmassage und inzwischen eingeleitete Beatmung über einen Trachealtubus mit 100 Prozent Sauerstoff werden kontinuierlich durchgeführt, eine EKG-Ableitung und eine intravenöse Medikamentengabe sind immer noch nicht möglich.
Das Ende der Tragödie
Niemand weiß, wie es dazu gekommen ist – Sven muss versucht haben, mit Minimalausrüstung seinen Trocki zu testen. Offensichtlich war es ihm nicht möglich, sich so aufzurichten, dass er in Rückenlage frei atmen konnte. Vierzig Minuten nach Beginn der Wiederbelebungsmaßnahmen stellt der Notarzt des Rettungshubschraubers bei Zeichen des Hirntods die weiteren Wiederbelebungsversuche ein. Sven ist verstorben.
Zusammenschau
Was den Ertrinkungsunfall – so das Ergebnis der polizeilichen Feststellungen – ohne Fremdverschulden verursacht haben kann, bleibt ungeklärt. Viele Spekulationen wurden aufgestellt, keine ist schlüssig.Sicher ist, dass die weiterführenden Hilfeleistungen durch den Trocki erschwert und kritisch verzögert wurden: die „Befreiung des Tauchers aus seinem Trockentauchanzug war mit den im Rettungsdienst verfügbaren Schneidwerkzeugen nicht zeitgerecht möglich. Niemand war auf die Undurchdringlichkeit der Reißverschlüsse und der Armmanschetten vorbereitet. Vielleicht hatte das Schicksal Sven schon vorher ereilt und jede Rettungsmaßnahme wäre von vornherein nicht mehr erfolgreich gewesen. Aber wir können daraus lernen: Wenn wir trocken tauchen, sollten entsprechende Schneidwerkzeuge im tauchereigenen Notfallkoffer vorhanden sein und jeder sollte wissen, warum und wofür sie sind. „Time is life“.
Unser Autor:
Dr. med. Konrad Meyne
Internist, Notarzt, Taucherarzt
Stv. VDST-Bundesverbandsarzt, Hotlinearzt, TL2
Werkzeuge von Links: Raptor Rescue von Leatherman, € 109.– Robin Safety Boy € 69.– Rettungsmesser S-Cut/ S-Cut E € 239,–/249,–
Rausschnitt:
Verunfallten aus dem Trocki schneiden – so klappt es:
Der Unfallbericht vom Konrad (siehe links) hat uns schockiert und überrascht zugleich – hatten wir doch sofort eine Menge Ideen im Kopf, wie man einen Taucher aus dem Trockentauchanzug im Notfall „befreit“. Allerdings wollten wir das „Freischneiden“ erstmal ausgiebig testen, bevor wir uns nur mit theoretischen Überlegungen äußern. Oft ergeben sich in der Praxis Überraschungen – so war es auch hier. Im Laufe der Zeit haben wir in Seminaren schon viele Tauchanzüge zerschnitten – doch oft waren es Neoprene Nassanzüge, die nie ein Problem darstellten. Im vorliegenden Unfallbericht ging es um einen Trockentauchanzug mit einem über den Brustkorb verlaufenden Metallreißverschluss (RV). Den Brustkorb müssen Helfer im Notfall schnell frei legen – um zu Reanimieren und einen AED einsetzen zu können. Die dann eintreffenden Profis aus dem Rettungsdienst benötigen für EKG und Defibrillator ebenfalls einen freien Oberkörper. Ebenso wichtig sind schnelle Zugänge zu den Armvenen, um Infusionen und Medikamente verabreichen zu können. Also – wir brauchen Trockis zum Zerschneiden und Freiwillige, die diese anziehen. Die Berufsfeuerwehr (BF) Mannheim hatte beides. „Meine Jungs sind für alle Schandtaten bereit – so begrüßte uns Markus Trommer, VDST TL3 und Feuerwehrlehrtaucher bei der BF Mannheim. Eine Reihe ausgemusterter Tauchanzüge lag schon bereit. Im Vorfeld hatten wir mehrere Werkzeuge gekauft, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Markus stieg als erster in den Anzug, und obwohl er seinen Männern täglich im Job
absolut vertrauen muss, war ihm förmlich anzusehen, wie unangenehm ihm das Hantieren mit scharfen Werkzeugen am eigenen Hals. Wir verwendeten ein „Schnittmuster“, das uns Michael Eckert zuschickte. Michael ist Honorardozent am Studieninstitut Westfalen-Lippe (Fachbereich Medizin und Rettungswesen). Bei diesem Muster wird quasi um den Front-RV herumgeschnitten. Der RV muss nicht durchtrennt werden. Somit besteht keine Gefahr, dass das Werkzeug durch den RV zerstört wird. Dieses Schnittmuster funktionierte astrein. Innerhalb kürzester Zeit war der Brustkorb freigelegt und auch die Unterarme lagen schnell befreit – auch bei Anzügen mit Ringsystemen. Natürlich testeten wir auch, was passiert, wenn man den Metall-RV durchtrennen möchte. Die Werkzeuge mit rollierendem Messer (vgl. Pizzaschneider) sind bestens geeignet für schnelle Schnitte im Anzugmaterial. Selbst Kevlar Pads an den Knien und dicken Gummi Stiefel sind für sie kein Problem. Beim Metall-RV brach allerdings eins der Werkzeuge sofort entzwei und war danach nicht mehr nutzbar. Genauso zerlegten wir auch eine einfache Rettungsschere, wie sie in vielen Notarztkoffern Verwendung findet. Auch das von Tauchern oft mitgeführte Eazycut hilft beim Freischneiden nicht ausreichend. Unsere klare Empfehlung: Eine der unten empfohlenen Rettungsscheren und ein Bild des Schnittmusters gehören in jeden Erste Hilfe Rucksack des Tauchers. Vielen Dank für die vielen Zuschriften und tollen Tipps und besonders an die Taucherstaffel der BF Mannheim.
Frank Ostheimer
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Mehrmals jährlich binde ich den Aspekt des Trocki-Freischneidens unter Hinweis auf die VDST-Zeitschrift und diese Seite auch in meine Rettungsdienstfortbildungen zur Tauchmedizin mit ein. Da es Online-Fortbildungen sind, bleibt es allerdings theoretisch. 😉
P.S.: Danke für die Berücksichtigung meines Schnittmusters!