SEELSORGE FÜR TAUCHER?
Notfallpsychologie nach Tauchunfall – ein CMAS Europe Projekt
Der Fall
Hemmoor, Februar 2020. Torsten (54 Jahre) und Ulrich (34 Jahre) haben für einige Tage ein Ferienhaus gemietet. Beide haben ihre Ehefrauen mitgenommen, da sie auch privat außerhalb des Tauchens viel gemeinsam unternehmen. Torsten ist ein erfahrener und umsichtiger Taucher ***, Ulrich hat seinen Taucher** im Herbst 2019 abgeschlossen und mit fast sechzig Tauchgängen im Trockentauchanzug beste Erfahrungen bei Kaltwassertauchgängen sammeln können.
Der Unfalltauchgang
Beide planen einen Tauchgang zum „Rüttler“. Alles verläuft planmäßig, sie geniessen es den See für sich zu haben mit bester Sicht. Schon in der Auftauchphase schießt Ulrich plötzlich unkontrolliert aus einer Tiefe von achtzehn Meter hoch. Torsten ist nur zwei Meter entfernt, kann aber den Aufstieg nicht verhindern und leitet sofort seinen Aufstieg ohne Stop ein. An der Wasseroberfläche angekommen sieht Torsten seinen Freund nach Luft ringend aber noch ansprechbar. Als er ihn erreicht ist Ulrich im Gesicht bläulich verfärbt und atmet nicht mehr. Torsten schleppt den bewusstlosen Ulrich hilferufend zum Einstieg zurück. Die Einsamkeit wird zum Verhängnis. Anlieger werden auf die Hilferufe aufmerksam und leiten die Rettungskette ein.
Erfolglose Rettung
Der mit dem Rettungshubschrauber eintreffende Notarzt führt die bereits eingeleiteten Wiederbelebungsmaßnahmen zunächst fort. Nach zwanzig Minuten werden bei ausbleibendem Erfolg die künstliche Beatmung und Herzdruckmassage eingestellt. Ulrich ist am Tauchplatz verstorben. Torsten wird wegen des Notaufstiegs in das nächste Druckkammerzentrum geflogen. Die Ehefrauen erfahren durch Dritte, dass es einen tödlichen Tauchunfall gegeben haben soll. Die Polizei vor Ort ermittelt und teilt Ulrichs Frau mit, dass er verstorben sei. Beide Ehefrauen sind auf sich allein gestellt, in einem seelischen Schockzustand. Torsten wird am gleichen Tag ohne erforderliche Druckkammerbehandlung entlassen. Ihm fehlen die Worte, die Fragen der Polizei hat er nicht beantworten können. Er ist in einem psychischen Ausnahmezustand mit Schuldzuweisung an sich selbst. Ein Gutachter wird später das Geschehen analysieren. Wieder zu Hause erhält Torsten mit zeitlicher Verzögerung eine traumapsychologische Therapie. Ulrichs Ehefrau lehnt diese zur Trauerbewältigung ab. Torsten taucht nie wieder.
Stellungnahme des Fachbereich Medizin VDST-Ärztetreffen
Tübingen 13.05.2023
Dr. med. Konrad Meyne
CMAS Europe hat bereits 2018 auf das Problem einer fehlenden Nachsorge von Tauchunfällen bei psychischen Belastungssituationen bei Verunfallten und Betroffenen hingewiesen. 2019 wurde die Initiative der CMAS zur Institutionalisierung von „mental coaching teams“ (MCT) offiziell vorgestellt.
Konzept der CMAS Europe
Mental coaching team
Psychologisch geschulte Laienhelfer, vorzugsweise Taucher:innen sollen zur Erstversorgung der Verunfallten und Betroffenen (Buddy, Helfer, Angehörige) zur psychischen Entlastung hinzugezogen werden. Mit einer Reihe von einfachen Techniken könne ein Mentaltrainer als Brücke zwischen den Tauchern und den professionellen Betreuern fungieren und insbesondere psychosoziale Bedürfnisse nach fatalem Tauchunfall erkennen. Im folgenden solle das MCT an einen Psychotherapeuten vorzugsweise Trauma-Psychotherapeuten vermitteln, die Behandlung unterstützen und den Erfolg nach der psychologischen Intervention beurteilen. Für dieses Konzept der CMAS sprechen wissenschaftlich begründete und etablierte Psycho-Therapieverfahren und das Vorhandensein ehrenamtlicher (Laien)Helfer in den Tauchverbänden.
Notfallpsychologie im VDST?
Nach Präsentation des MCT-Projektes der CMAS hat der Fachbereich Medizin des VDST eingehend Pro und Kontra diskutiert. Die Notwendigkeit und der Bedarf einer psychosozialen Betreuung nach fatalen Tauchunfällen ist unbestritten. Dennoch sind es seltene Ereignisse im Tauchsport. Unbestritten sind die Mental Coaching Teams im Vergleich zu professionell ausgebildeten Notfallseelsorgern psychologisch wenig geschult mit nur geringer Einsatzerfahrung. Eine für Notfallsituationen erforderliche (Ruf-)Bereitschaft kann nicht zugesichert werden. Wir sehen einen hohen zusätzlichen Schulungsbedarf und verfügen nicht ausreichend über Aus- und Weiterbildungskapazitäten. Für eine psychologische Sofortbetreuung nach fatalem Tauchunfall und zur Nachsorge stehen in Deutschland jederzeit über Rettungsleitstellen einsatzbereite Krisen-Interventions-Teams (KIT) und Notfallseelsorger zur Verfügung. Ihre Einsatztätigkeit wird seit Jahren durch Vorgaben des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe festgelegt und in der „Qualitätssicherung in der psychosozialen Notfallversorgung, Qualitätsstandards und Leitlinien“ öffentlich zugänglich gemacht (ISBN 978-3-939347-37-8 3. Auflage 07/2012 124 S.).
Etablierte Strukturen der Notfallpsychologie
Krisen Interventions Teams und Notfallseelsorger werden eingesetzt, um in akuten Ausnahmesituationen die körperlich unverletzten, aber seelisch Betroffenen zu betreuen. Die Unterstützung des Krisen Interventions-Teams wird auch den Einsatzkräften angeboten, um bei Bedarf unverzügliche Hilfe zu leisten. Ein bundesweites Netzwerk ermöglicht zusätzlich zur Verknüpfung der Rettungsleitstellen die Betreuung von Angehörigen weitab vom Notfallort. Einsatzschwerpunkte der KIT und Notfallseelsorger sind die Begleitung von Angehörigen (insbesondere bei Todesfällen) in der Notfallrettung und bei Suiziden, die Überbringung von Todesnachrichten an Angehörige und die Begleitung von Rettungsdienstpersonal und Feuerwehr nach belastenden Einsätzen. Häufig werden sie bei Großschadensereignissen (Massenanfall von Verletzten, MANV) mit alarmiert.
Stellungnahme und Ausblick des Fachbereich Medizin
Zusammengefasst sieht der Fachbereich Medizin derzeit keinen erkennbaren Bedarf an flächendeckender Laien-basierter psychologischer Begleitung bei Tauchunfällen von Sporttauchern*innen. Da es sehr seltene Ereignisse sind haben auch engagierte Taucher*innen in Mental Coaching Teams wenig zu erlangende Einsatzerfahrung gerade für seelisch belastende Situationen. Darüber hinaus verfügt der VDST nur über geringe Aus-/Weiterbildungskapazitäten in der Notfallpsychologie. Denkbar sind Mental Coaching Teams für Wasserrettungsorganisationen (Deutsche Lebensrettungsgesellschaft DLRG, Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes), die aber einen grundlegend anderen Ansatz verfolgen. In Deutschland können wir bei einem fatalen Tauchunfall auf professionelle Akut-Betreuung durch Kriseninterventionsteams und Notfallseelsorger für alle Betroffenen setzen. Eine etablierte Trauma-Psychotherapie mit zugesichert kurzfristigen Terminvergaben trägt zur Vermeidung einer posttraumatischen Belastungsstörung bei. Das CMAS-Konzept begrüßt der VDST ausdrücklich, um Taucher*innen auf die bestehenden Hilfeangebote für alle Betroffenen hinzuweisen. Wir werden diesen Dialog zukünftig mit der CMAS Europe fortführen und unsere Erfahrungen dazu einbringen.
Unser Autor:
Dr. med. Konrad Meyne
Internist, Notarzt, Taucherarzt
Stv VDST-Bundesverbandsarzt, Hotlinearzt, TL2