LUFTNOT!
Pneumothorax – das Ende einer vielversprechenden Tauchkarriere
Röntgenbild der Lunge: Links Spannungspneumothorax der linken Lunge mit Verdrängung des Herzens und Mittelfellraums nach rechts. Die rechte Kontroll-Röntgenaufnahme zeigt die Lungen nach Entlastung durch eine Thorax-Saugdrainage
Das Fallbeispiel 2 zum Thema „Grenzen der Tauchtauglichkeit“ zeigt eine nicht erkannte Lungengerüsterkrankung als Ursache eines Tauchunfalls mit Lungenbarotrauma. Auch bei diesem Fallbeispiel ist die allgemeine körperliche Belastungsfähigkeit nicht eingeschränkt, nur Tauchen ist nicht mehr möglich:
Der Fall
Die 18jährige Saskia ist begeisterte Taucherin. Sie ist im Sog ihrer tauchsportlich aktiven Eltern, ehrgeizig die Unterwasserwelt zu erkunden. Auch ihr Freund ist schon aktiv im Tauchsport. Saskia ist sehr schlank und sportlich. Das Schwimmbadtraining absolviert sie mit Begeisterung. Den ersten Stern gab`s von Papa als TL1. Während eines Kroatien-Tauchurlaubs erleidet Saskia im Aufstieg aus einem 15 Meter Tauchgang heftige Luftnot und Brustschmerzen. Da sich die Beschwerden in den nächsten Stunden bei körperlicher Schonung bessern, beschließen die Eltern die vorzeitige Rückfahrt mit dem Auto. Zu Hause angekommen treten erneut Beschwerden auf. Das vom Hausarzt veranlasste Computertomogramm des Brustkorbs zeigt einen Pneumothorax der rechten Lunge, eine Luftansammlung zwischen Lungen- und Brustfell. Drei Monate nach diesem Ereignis zeigt ein Röntgenbild der Lunge einen völlig normalen Befund. Der Hausarzt sieht nach weiterer Absprache mit dem Lungenfacharzt keine Einschränkung mehr. Saskia darf wieder tauchen!
Tauchversuch 2
Mit Begeisterung startet Saskia in die neue Tauchsaison, jetzt mit ihrem Freund. Doch schon der erste Tauchgang endet abrupt im Notarztwagen: heftige Luftnot, blutiger Husten, Brustschmerzen nach dem Auftauchen aus 8m. Noch im Rettungswagen wird eine Entlastungsdrainage angelegt, da der Notarzt einen Spannungspneumothorax befürchtet. Das erneute Computertomogramm der Lunge bestätigt diese Verdachtsdiagnose. Wiederum muss für einige Tage eine Behandlung auf der Intensivstation erfolgen, bei der über eine Saugdrainage das Lungenfell wieder zur Entfaltung gebracht wird. In den nachfolgenden Kontrolluntersuchungen sind alle Befunde unauffällig. Saskia hat wieder mit Sport und Schwimmbadtraining begonnen. Das für die Beurteilung der Tauchtauglichkeit vorgesehene Computertomogramm der Lunge wird wegen der hohen Strahlenbelastung durch diese Untersuchung nicht durchgeführt. Saskia ist gut belastbar und absolviert die nachfolgende tauchsportärztliche Untersuchung mit EKG und Lungenfunktion ohne Einschränkung.
Tauchversuch 3
Der geplante Tauchurlaub wird nicht mehr angetreten, weil Saskia während ihrer Arbeit beim Heben eines schweren Kartons heftige Brustschmerzen und Luftnot bekommt. Ihr wird schwindlig, sie hat starke Luftnot und sieht blass aus. Ihre Chefin ruft 112…Stationär wird die Diagnose eines rezidivierenden Pneumothorax gestellt. Sie wird mit einer Brustkorbspiegelung (Thorakoskopie) weiter untersucht. Mit dieser Untersuchung werden Verschwielungen, aber auch weitere Emphysemblasen der Lunge entdeckt. Sie werden mit einer minimal invasiven chirurgischen Behandlung operativ verschlossen.
Fazit: Atemregler gegen Pferd
Rezidivierende Lungenrisse (Pneumothorax) können durch angeborene Lungenstrukturveränderungen entstehen. Sie treten häufig bei Bagatellbelastungen auf. Beim Tauchen können sie lebensbedrohlich werden. Saskia hat die Lungenüberdruckunfälle zum Glück ohne Schaden überstanden. Der Verlauf verbietet aber das Tauchen auf Lebenszeit. Saskia hat ihre Tauchausrüstung gegen ein Pferd eingetauscht….
Was passiert?
Ein Lungenüberdruckunfall (Barotrauma der Lunge) entsteht durch Platzen umschriebener Lungenanteile, zum Beispiel durch Verlegung von Bronchialästen beim Ausatmen, so dass beim Aufstieg die sich ausdehnende Luft nicht entweichen kann (sog „air trapping“). Folge ist ein Zusammenfallen der betroffenen Lungenseite durch Wegfall des Unterdrucks im Lungenspalt, im schlimmsten Fall die Entstehung eines Spannungspneumothorax. Dabei wird in den Spalt zwischen Brustfell und Lungenfell mit jedem Atemzug Luft eingepresst und die Atemnot verstärkt. Ein Spannungspneumothorax ist eine akute lebensbedrohliche Situation. Die Gefahr eines Pneumothorax entsteht durch Verschleimung und Verkrampfung der Bronchien (Asthma bronchiale) mit Verlegung der Atemwege. Menschen mit Lungengerüsterkrankungen, zum Beispiel Emphysem (Blählunge) sind bei alltäglicher Belastung beschwerdefrei. Emphysemblasen sind aber sehr dünnwandig und halten den Druckunterschieden beim Tauchen nicht mehr stand. Besonders Raucher*innen und ältere Taucher*innen sind gefährdet, einen lebensbedrohlichen Lungenüberdruckunfall zu erleiden.
Kann ich die Gefahr erkennen?
Die Gefahr eines Lungenüberdruckunfalls lässt sich vermeiden durch regelkonformes Tauchen mit Einhaltung der Standards zum Aufstieg. Jeder unkontrollierte Aufstieg auch aus geringen Tiefen birgt die Gefahr eines Lungenrisses. Entsprechende Beschwerden sind ernst zu nehmen, sofortige ärztliche Untersuchung und auch notfallmäßige Behandlung sind erforderlich. Die tauchsportärztliche Untersuchung kann das Risiko eines Lungenüberdruckunfalls nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen. Für die Erkennung im Sinne einer Vorsorge wäre eine Spiral-CT-Untersuchung erforderlich, verbunden mit einem hohen Strahlenrisiko, einem hohen finanziellen Aufwand und keiner hundertprozentigen Sicherheit. Ein Erstereignis wie bei Saskia mag noch eine eingeschränkte Tauchtauglichkeit ermöglichen, jedes weitere Ereignis bedingt grundsätzlich lebenslanges Tauchverbot: fit, aber nicht tauchtauglich. Reiten ist eine naturverbindende Alternative ohne Rezidiv-Risiko…
Unser Autor:
Dr. med. Konrad Meyne
Internist, Notarzt, Taucherarzt
Stv VDST-Bundesverbandsarzt, Hotlinearzt, TL2